Flagellieren

Die Anfänge

Vorchristliche Religionen, z.B. der ägyptische Isis-Kult und der griechische Dionysos-Kult, pflegten die Selbstgeißelung. Auch während der römischen Lupercalien wurden Frauen gegeißelt, um die Fruchtbarkeit anzuregen. Die Juden praktizierten die Selbstgeißelung bei großen Tempelzeremonien.

Die erste schriftliche Nachricht über die Selbstgeißelung als christliche Bußübung stammt von dem Biografen des hl. Padulf († 737). Danach soll dieser sich während der Fastenzeit von seinem Schüler Theodenus habe auspeitschen lassen.[1] Von anderen Zeitgenossen stammen die Viten aber erst aus späteren Jahrhunderten, so dass die Nachrichten nicht zuverlässig sind. Aber in den Bußbüchern des 10. Jahrhunderts wird die Selbstgeißelung erwähnt.[2]

Petrus Damiani schrieb in seiner Vita des Eremiten Dominicus Loricatus (d.h. ‚der Gepanzerte‘, weil er einen eisernen Panzer auf der Haut getragen habe; † 1160 oder 1161), dieser habe sich täglich beim Beten des Psalters gegeißelt.[3] Auch viele andere Heilige der katholischen Kirche sollen sich dieser Übung unterzogen haben. Genannt werden Ignatius von Loyola, Franziskus von Xavier, Karl Borromäus, Katharina von Siena, Teresa von Ávila und der Ordensgründer Dominikus. Die Selbstgeißelung war in vielen Ordensregeln bis in die Neuzeit hinein fest verankert und wurde bis ins 20. Jahrhundert gepflegt. Der Brauch wurde an bestimmten Tagen, meist an allen Freitagen und an weiteren Tagen der Advents- und Fastenzeit geübt.[4]

Die Intention

Man nannte die Selbstgeißelung disciplina ‚Erziehung‘. Es ging um eine Transformation des Selbst, um eine Pädagogik der Existenz. Während das Ideal der Stoa die Leidenschaftslosigkeit war, verwandelte sich die Disziplin bei den frühen Mönchen in ein agonales Konzept zur Bekämpfung böser Leidenschaften. Der Mensch wollte sich durch seine asketischen Übungen über seine Grenzen hinausheben. Es sollte eine Vergegenwärtigung werden, die symbolische Ähnlichkeit und geschichtliche Bezüge durchbrechen und eine reale Unmittelbarkeit zum leidenden Gott herstellen sollte. Die Flagellation war damit nicht mehr nur Bußritual, sondern wurde Teil eines eschatologischen Schauspiels, das auf die körperliche Vergegenwärtigung des Leidens Christi abzielte. Auf der anderen Seite wurde der sich geißelnde Eremit zum geistigen Athleten, der sich langsam steigernd zu Höchstleistungen anspornte.[5] Es kam zu einer leistungsorientierten Quantifizierung der Geißelungen, die die Bußübungen zu dominieren begann und den Körper mit Blick auf das Heil instrumentalisierte.

Fetischaudio

Frühe Kritik

Während Petrus Damiani die Selbstgeißelung als Mittel der Kontemplation lobte, kam es bei den Mönchen anderer Klöster zu kritischen Einwänden. Der schwerwiegendste Einwand zur damaligen Zeit war regelmäßig der Vorwurf der Neuerung. Petrus musste sich gegen die Ansicht verteidigen, hier werde eine neue Form der Kontemplation eingeführt, während die Befolgung der benediktinischen Regel vollkommen genüge. Dies geht aus seinen Verteidigungsschriften hervor, in denen er versucht, die Tradition bis hin zur Geißelung Christi zurückzuverfolgen.

Der Ritus der Geißelung

Der Vorgang der liturgischen Selbstgeißelung geht aus dem Liber ordninarius des St.-Jakobs-Klosters in Lüttich hervor:[6] Der Mönch, der sich geißeln lassen wollte, bat einen Priester, diese durchzuführen. Dann setzte er sich hin, machte den Rücken frei und betete dreimal das Confiteor. Während der ersten beiden Gebete antwortete der Priester mit Miseratur tui und schlug mindestens dreimal zu. Beim dritten Mal sprach er das Indulgentiam, die Kurzformel der priesterlichen Absolution und abschließend das Absolve Domine. Danach folgten noch einmal drei Schläge. Jeder Mönch durfte täglich um drei solcher Bußsitzungen bitten. Der Text betont, dass der Geißelnde gehalten war, nicht zu fest zuzuschlagen. Dieser ritualisierte Vorgang war auch Vorbild der privaten Selbstgeißelung in der Zelle. Auch sie war vom Gebet begleitet. Daraus entwickelte sich allmählich eine eigene Liturgie: Die 1617 approbierten Regeln des Ordens der Hospitaliter von San Giovanni di Dio schrieben vor, dass sich die Mitglieder jeden Freitag die Disziplin geben, ausgenommen in der Osterzeit oder an Freitagen, die hohe Feiertage sind. Im Advent und in der Fastenzeit mussten sie sich dreimal in der Woche geißeln. Die Geißelung hatte folgendes Schema: Nach der Matutin und nach den Laudes für Maria fand die Geißelung im Betsaal oder in der Kirche statt. Man sang den Psalm 6 und fiel dabei auf die Knie. Dann wurden alle Lichter gelöscht. Dann hielt der Prior eine kurze Ermahnungsrede über den Sinn der Geißelung. Nach kurzer Wechselrede folgte eine lateinische Lesung, in der die Geißelung Jesu thematisiert war. Dann begann die Geißelung, wobei das Miserere und das Gloria Patri, De profundis und Requiem aeternam, der Introitus der Requiem-Liturgie, gebetet wurde. Dem folgten drei Bittgebete für die Mitglieder des Ordens, alle Gläubigen und die ganze Menschheit. Der Prior beendete die Geißelung dann durch Händeklatschen.[7]

Um 1700 fand die letzte große Auseinandersetzung über die Flagellation statt, diesmal aber innerhalb der katholischen Kirche. Abbé Jacques Boileau, Docteur en Théologie de la Maison et Société des Sorbonne, hatte die Flagellation in seiner Schrift Historia flagellantium angegriffen. Boileau behauptete, die Geißelung sei heidnischen Ursprungs, wegen der Schläge auf den nackten Hintern schamlos und außerdem in seiner Absolutions-Absicht häretisch. Ihm trat Jean-Baptiste Thiers, Docteur en Théologie et Curé de Vibrayé, entgegen. Die Übernahme heidnischer Bräuche sage nichts über deren Legitimität im christlichen Kontext aus, der Vorwurf der Schamlosigkeit gehe von falschen Voraussetzungen aus und außerdem werfe Boileau zweifellos häretische Gruppen mit den echten Büßern unzulässig zusammen. Das Neue an dieser Auseinandersetzung ist aber, dass Boileau eine ganze Reihe von Beispielen und Anekdoten brachte, in denen er die Flagellation in fast pornographischer Weise schilderte. Thiers warf ihm vor, durch diese Darstellung das Schamgefühl mehr zu verletzen, als es die Flagellation selbst tue. Dieser Aspekt der pornographischen Schilderung unter dem Deckmantel der Kritik hatte bislang keine Rolle gespielt, führte aber in der Folgezeit zu einer eigenen literarischen Traditionslinie, die sich später auch medizinisch gab. Thiers warf Boileau vor, dass er durch „die Geschichten, die er erzählt, das Übel lehrt, das er verachtet.“[33]

Die Aufklärung

Im 18. Jahrhundert wurde die „moderne raffinierte Unzucht“ der Flagellation mit der aufklärerischen Kirchenkritik verbunden.[34] Geile Priester und Nonnen wurden zum bevorzugten Gegenstand polemischer Kirchenkritik. Wollüstige Phantasien würden vor allem durch Kleriker verbreitet, wobei die Jesuiten an erster Stelle standen. Aber auch Rabbiner waren davon betroffen. Der Beichtstuhl wurde zum Ort der Verführung und die Flagellation zur sexuell stimulierenden Buße. Ein typisches Beispiel ist das Buch Flagellantismus und die Jesuitenbeichte, das Karl Fetzer unter dem Pseudonym Giovanni Frusta 1834 veröffentlichte. Er war Rechtsanwalt und linker Abgeordneter der Paulskirchenversammlung.[35] In seinem Werk berichtet er mehrere einschlägige Skandale, in denen Beichtväter das Vertrauen von Frauen ausnutzten, diese zu flagellantischen Bußen zu bestimmen.[36] Die Flagellation wird in der Literatur der Aufklärung und im 19. Jahrhundert als eine Praktik verstanden, die letztlich ausschließlich sexuelle Bedeutung hat und Teil eines perversen Wahnsystems wird. Der aufgeklärte Diskurs lehrt, dass es bei der Flagellation nie um etwas anderes als die Sexualität gegangen sei, und ersetzt so das Religiöse nachträglich durch das Sexuelle, aus dem der Sinn des größten Teils religiöser Praktiken abzuleiten sei. „Verirrte Phantasie“, „überreizte Sinne“ und „Hysterie“ werden nun zu den Deutungsmustern der Wahrnehmung der Vergangenheit. Eines der Beispiele Fetzers war der Fall des Père Girard und der Cathérine Cadière, das er einem 1748 erschienen anonymen Werk Therese philosophe, das von Marquis de Sade einem Marquis d’Argent zugeschrieben wurde, entnommen hatte. Hier wurde erstmals durch einen in der Geschichte auftretenden Arzt ein Zusammenhang zwischen Flagellation und ihren Wirkungen mit der Säftelehre Galens hergestellt: Das spirituelle Klosterleben habe den Säftehaushalt der Protagonistin ins Ungleichgewicht gebracht. Die geilen Gedanken, die dadurch entstünden, vermehrten den Liquor genitalis, der nach damals gültiger Ansicht analog zum männlichen Samen von der Frau beim Orgasmus ausgestoßen wird. Das führe schließlich zur Nymphomanie. Dieses Werk wurde zur Vorlage für das Werk La Philosophie dans le boudoir von Marquis de Sade. Er nahm auch in seiner Histoire de Juliette darauf Bezug.[37] In all diesen Werken wird die Flagellation zum Gipfel der sinnlichsten Erfahrung ohne irgendeinen die Person transzendierenden Anspruch.






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